Im Raum Rottenburg bis Reutlingen, aber auch in Teilen des Albvorlandes gibt es immer mal wieder Berichte, wonach die Städte und Gemeinden sich mit den Gefahren auseinandersetzen müssen, die von den Raupen des Eichen-Prozessionsspinners ausgehen könnten. Schnell wird hier die "Katastrophenkeule" geschwungen, indem z.T. heftige Maßnahmen ergriffen werden, wie z.B. die großflächige Bekämpfung mit Insektiziden oder anderen Stoffen, die diesen "Übeltätern" den Garaus machen sollen. In den meisten Fällen sind derartige Maßnahmen völlig überzogen und richten sogar Schäden an der heimischen Tierwelt an. Dabei wäre ein Absperrband mit Hinweistafel fast immer völlig ausreichend.
Dass es Firmen gibt, die eine solche Panikmache als Einkommens-Sicherungsmaßnahme nutzen, liegt auf der Hand und das ist auch nicht von vornherein verwerflich. Dieser Tage erhielten wir nun von einer Gemeinde im Zollernalbkreis ergänzende Informationen zu einem Flyer, den eine Firma aus dem Raum Stuttgart offenbar breit gestreut hatte - die Saison 2010 steht vor der Tür und die Auftragsbücher wollen gefüllt werden. Die Firma bietet an, die Nester des "EPS" (welch putzige Abkürzung!) umweltfreundlich abzusaugen. Aber besser wäre es selbstverständlich, eine "vorbeugende" Spritzbehandlung durchzuführen - "sinnvoll und kostensenkend" (siehe hierzu den folgenden Ausschnitt aus dem Anschreiben).
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Worum geht es?
Der Eichen-Prozessionsspinner (Thaumetopoea processionea) legt seine 100 bis 200 Eier an meist älteren Eichen im Kronenbereich an dünneren Zweigen und anderen glatten Rindenstellen in Form einer länglichen Platte ab und tarnt sie durch Afterschuppen und Sekret. Der Embryo entwickelt sich noch im Herbst zur fertigen Jungraupe, die dann im Ei überwintert und Anfang Mai schlüpft. Die Raupen durchlaufen fünf bis sechs Entwicklungsstadien bis zur Verpuppung und werden bis zu fünf Zentimeter lang. Sie haben eine dunkle, breite Rückenlinie mit samtartig behaarten Feldern und rotbraunen, langbehaarten Warzen. Sie leben gesellig und gehen in Gruppen von 20 bis 30 Individuen im "Gänsemarsch" auf Nahrungssuche, daher der Name "Prozessionsspinner". Die älteren Raupen ziehen sich tagsüber und zur Häutung in Raupennester (Gespinste), die bis zu einem Meter lang werden können, am Stamm oder in Astgabelungen von Eichen zurück. Ab dem dritten Stadium entwickeln sich bei den Larven Gifthärchen mit Widerhaken, die ein Nesselgift, das Thaumetopoein, enthalten. (Quelle: Wikipedia)
Diese Brennhaare können bei empfindlichen Menschen Allergien mit Nesselquaddeln und Asthmaanfällen auslösen und das ist ein durchaus ernthaftes Problem. Aus diesem Grund müssen sich solche Personen von den Raupennestern fernhalten. Ansonsten sind die Tiere eben nur lästig. Es soll Menschen geben, die auf Brennnesseln allergisch reagieren. Manche Leute sind allergisch gegen Bienengift - werden sie gestochen, haben sie ein ernsthaftes Problem. Dennoch hat noch niemand ernsthaft gefordert, dass Bienen ausgerottet werden müssten. Und Brennnesseln werden auch nicht vorbeugend wöchentlich gemäht.
Sind die Bekämpfungsmittel nicht ungefährlich?
In vielen Veröffentlichungen wird auf die geringe Gefährlichkeit der Bazillus thurengiensis-Präparate hingewiesen. Das ist jedoch Augenwischerei, denn allen diesen Mitteln ist gemeinsam, dass sie eben nicht spezifisch wirken, weil die Vermehrungsstadien sämtlicher Schmetterlings- und auch einiger Käferarten davon betroffen sind. Eine wirksame Ausbringung der Präparate ist nur dann möglich, wenn eine ausreichend große Blattmasse zur Verfügung steht - also mitten in der Brutzeit. In dieser Zeit ist für Naturschützer ein Eingriff in Wald-Ökosysteme tabu, wenn nicht eine absolute Katastrophe ein Eingreifen erforderlich machen würde. Eine Verpflichtung, dies zu tun, besteht für den Eigentümer der Bäume nicht, denn die Tiere sind ja von ganz alleine gekommen.
Im Lepiforum, dem größten deutschsprachigen Forum, in dem sich Schmetterlingsspezialisten regelmäßig austauschen, wurde im Jahr 2008 ein Gesprächsfaden begonnen, der das "vorsorgliche" Fällen einer Eiche in Reutlingen zum Gegenstand hatte. Dann kamen dann im gleichen Jahr Fälle aus Rottenburg und Tübingen hinzu, wo Insektizide zum Einsatz kommen sollten. Dort ist auch ein offener Brief von Erwin Rennwald (einem führenden Schmetterlingsspezialisten aus Baden-Württemberg) an den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer abgedruckt, der im Folgenden auszugsweise zitiert werden soll:
(...) Bacillus thuringiensis ist das in der Land- und Forstwirtschaft am meisten eingesetzte Bakterium. Grund dafür ist seine Vielseitigkeit, da es im Prinzip gegen alle Insekten eingesetzt werden kann, also gut 80 % der Tier-Arten auf unserem Erdball. Klar gibt es da verschiedene "Stämme" und Linien des Bakteriums mit etwas unterschiedlichem Applikationsbereich, aber wenn immer wieder behauptet wird, dass das Bakterium - bzw. das von ihm produzierte Toxin - hochspezifisch auf eine ganz bestimmte Art wirken, ist das schlichtweg gelogen. Das, was hier gegen den Eichen-Prozessionsspinner eingesetzt wird, ist exakt das Gleiche wie das, das man immer wieder gegen den Schwammspinner (Lymantria dispar) einsetzt, also einen Vertreter einer ganz anderen Schmetterlingsfamilie. Eichen sind bekanntlich die Bäume, die in Mitteleuropa die größte Zahl an Schmetterlingsarten als Raupe beherbergen, darunter viele Arten der Roten Listen. Das Bt-Gift wirkt auf alle diese Arten, wenn sie derzeit aktiv als Raupe fressen - das ist im Mai aber beim größten Teil der Arten der Fall. Alle diese sterben langsam an der "Schlaffsucht". Selbst wenn das Mittel also keine Auswirkung auf Insekten anderer Ordnungen hätte (was definitiv nicht stimmt) und für Wirbeltiere generell nicht toxisch wäre (was auch nicht überzeugend abgesichert ist), wäre das schon Grund genug, die Anwendung eines solchen Mittels zu verbieten. Aber der Wegfall der Raupen hat selbstverständlich indirekte Auswirkungen auf das Ökosystem (...): Womit - bitteschön - sollen die insektenfressenden Vögel jetzt ihre Jungen ernähren (...)? Und was bleibt für die Fledermäuse übrig, die ja ganz besonders vom Insektenreichtum der Eichen leben? Spätestens hier sollte sich ein grüner Bürgermeister eigentlich daran erinnern, dass er damit einen eklatanten Verstoß gegen die FFH-Richtlinie unterstützt ...
Und was wird gewonnen? "Die Raupen lösen mit ihren Brennhaaren heftige Allergien, Asthmaanfälle und Hautreizungen aus" - steht in der Tübinger Zeitung. Haben Sie in den Tübinger Kliniken nachgefragt, wie viele Patienten sie in den letzten Jahren wegen Thaumetopoea processionea hatten? Dass die Brennhaare Hautreizungen auslösen, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen - dazu muss man aber schon ganz direkten Kontakt mit den Raupen bekommen, was wohl nur bei Forstarbeitern und wenigen Biologen vorkommt. Ist allerdings auch kaum schlimmer als Brennnesseln, hält sich nur ein paar Tage länger. Ja, es gibt tatsächlich auch stärkere allergische Reaktionen inkl. Asthmaanfällen. Aber ich kenne niemanden, der nur gegen den Eichenprozessionsspinner allergisch wäre. Die armen Geschöpfe sind allesamt hochgradige Polyallergiker, die auch nach der Beseitigung aller Raupen noch unter dem Vorhandensein von Blütenpollen und vor allem diversen menschgemachten Substanzen leiden. Die Raupen sind für diese Menschen sicher das kleinste Problem. Das Gerücht, dass die Brennhaare der Raupe ganz leicht abbrechen und so über den Wind Allergien auslösen, ist ein Witz. Wenn da etwas dran wäre, dann müsste ja gerade so eine Bekämpfungsaktion das mechanische Abbrechen der Haare und die Verbreitung der Fragmente durch die Luft kräftig fördern ...
Den ganzen Thread gibt's im Lepiforum unter http://www.lepiforum.de/cgi-bin/2_forum.pl?noframes;read=19969.
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